Die freie Reichstadt Fridislar

Auf einer Anhöhe über dem Ander liegt die Stadt Fridislar. Sie hat eine besondere Stellung, denn sie ist eine Enklave. Zwar streiten sich die Fürsten der umliegenden Länder, wem die Stadt wohl gehört, doch weder politische noch militärische Aktionen konnten die Stadt bisher in den Besitz eines der drei Nachbarländer bringen, denn die Fridislarer legen viel Wert auf eine mächtige Stadtbefestigung. Ansonsten verhält man sich neutral, denn die Stadt lebt vom Handel. Die Anderbrücke ist der einzige für Handelszüge geeignete Überweg über den Fluss weit und breit. Er kreuzt hier die Armathanstraße, was einen regen Warenumschlag mit sich bringt und auch sehr zum Wohlstand der Stadt beiträgt, denn die Maut für die Brückenbenutzung ist nicht gering und an den Stadttoren wird man ebenfalls zur Kasse gebeten, wenn man mit einem größeren Fuhrwerk hindurchfahren will. Nichtsdestotrotz zwängen sich täglich mehrere Dutzend Menschen durch dieses Nadelöhr.

Regiert wird die Stadt von einem Senat. Die Senatoren entstammen ausschließlich dem Patriziat. Politische Entscheidungen werden gemeinsam getroffen. Jeder Senator darf Anträge stellen und Vorschläge machen, über die dann diskutiert wird. Am Ende wird darüber abgestimmt, und zwar mithilfe einer Urne, in die jeder ein blaues oder weißes Steinchen wirft, je nachdem, ob er dafür oder dagegen ist.

Die Fridislarer haben eine gänzlich andere Lebensweise als ihre Nachbarn. Durch ihren großen Wohlstand dekadent geworden, gehen sie oft nicht sehr sparsam mit ihrem Geld und ihren Gütern um. Und auch ihren Mitmenschen gegenüber verhalten sie sich entsprechend, denn sie sind der Ansicht, dass man mit Gold Alles aufwiegen könne. Ihre verschwenderische Lebensweise äußert sich auch in den unzähligen Spelunken und den vielen kleinen Bordellen in den Hintergassen, sowie in den häufigen und üppigen Banketten, die einige Patrizier und Senatoren des Öfteren im eigens für solche Zwecke errichteten Festhaus, dem nach dem Großen Tempel größten Gebäude der Stadt, veranstalten.
Wo so viel Reichtum ist, gibt es natürlich immer auch solche, die sich dessen bemächtigen wollen. Kaum hat man sich versehen, ist die Börse weg. Wenn man es dann endlich merkt, ist der Dieb längst durch eine der Gassen entschwunden. Es gibt auch einige größere, organisierte Banden und nicht selten zieht einer der Patrizier selbst die Fäden, um sich die Konkurrenz vom Hals zu halten. Korruption und Erpressung sind an der Tagesordung und der Pranger steht selten verlassen.

Die Stadt ist von einem mächtigen Mauerring umgeben, aus dem allenthalben Türme und Bastionen hervorspringen. Jeder Bürger hat die Pflicht, einmal in der Woche eine Wache auf der Mauer zu stellen, sei es nun, dass er dies selbst übernimmt, oder jemanden dafür bezahlt. Jedem einzelnen Stadtviertel ist dabei ein fester Abschnitt der Mauer zugeteilt. Nur wessen Gebäude an den Markt grenzt, ist vom Wachdienst entbunden. Im Angriffsfall sammeln sich die Bürger auf dem Markt, bekommen Waffen ausgehändigt und werden vom Kommandanten an die jeweiligen Mauerabschnitte geschickt, die aufgrund der sternförmigen Anlage der Stadt schnell zu erreichen sind. Im Grauen Turm, dem höchsten Turm der Stadtbefestigung, befindet sich die Kommandantur, von wo aus der Kommandant die Verteidigung leitet. Auch dessen Wohnung und der Kerker sind dort. Zudem befinden sich überall im Umland Warten, von denen aus der Feind frühzeitig gesehen werden kann und mittels Flaggen oder Feuer Warnsignale zum Grauen Turm übermittelt werden können.

Gänzlich anders geht es in Underfried zu, einem zu Fridislar gehörenden Dorf. Man glaubt, es hätte einen weit in den Norden, zu den Traven, verschlagen, so groß ist der Unterschied zur nahegelegenen Stadt. Die Häuser sind samt und sonders aus Holz, bis auf den Tempel, und die Leute sind friedliche, bodenständige Bauern und Handwerker. Sie sind jedoch für ihre große Trinkfestigkeit bekannt, mit der kein Fridislarer, und wenn er auf noch so vielen Festen und Orgien gewesen ist, mithalten kann. In einem Wald auf halbem Wege zwischen Underfried und Carveningen steht ein kleiner Tempel, ein Heiligtum für Aedari. Denn in den Fundamenten des Tempels befindet sich eine Quelle, deren Wasser magische Kräfte nachgesagt werden. Besonders Krieger werden dort oft gesehen, denn es heißt, von dem Wasser bekäme man stählerne Muskeln. #

Der berühmte Dichter Carolus Ehrtra hat Fridislar in seinem Buch "Durchs wilde Lawegon" folgendermaßen beschrieben:
"Wenn man die Stadt durch eines der Tore betritt, wird man sofort von einem Gewimmel und Gewusel überwältigt, das in der Welt seinesgleichen sucht. Überall sind Menschen, solche, die etwas kaufen wollen und welche, die etwas verkaufen wollen, welche, die einen nach etwas Geld fragen und andere, die es sich einfach nehmen. Kontor reiht sich an Kontor, und vor und in jedem stapeln sich die mannigfaltigsten Waren, die man sich vorstellen kann: Trauben und saftige Äpfel von den Hängen Lawegons, wertvolle Bücher aus Rieda, alisisches Geschirr, güldener Honig und Meth von den Traven, Zwergengold und Edelsteine und riesenhafte Bärenfelle, die von den Orks aus Gerandack stammen sollen. Und wenn man nicht aufpasst, dann fallen einem ein paar Säcke oder Kisten auf den Kopf, die mit einem Flaschenzug in die Speicher der Kaufhäuser gezogen werden sollten. Die Hauptstraße ist so verstopft, dass ein ankommender Handelszug oft den ganzen Tag braucht, um die Stadt zu durchqueren, die Formalitäten bei der Zoll- und Mautstelle noch nicht eingerechnet. Man hört die unterschiedlichsten Sprachen und sieht Menschen aus aller Herren Länder. Ständig flitzen Jungen hin und her, die wichtige Botengänge für ihre Herren erledigen und allenthalben stolpert man über ein Ferkel oder einen streunenden Hund. In den Hintergassen reiht sich Schenke an Schenke. Hier stehen auch die Häuser der Ärmeren, kleine windschiefe Holzhäuser, während die Handwerker in schmucken kleinen Fachwerkhäusern leben und die Patrizier sich teilweise sogar teure Steinhäuser leisten können.

Am Brunnen auf dem Markt trifft sich stets jung und alt und es werden Neuigkeiten und Tratsch ausgetauscht, während drumherum die Krämer, Handwerker, Fischer und Bauern an den Markttagen ihre Waren lautstark anpreisen. Und überall führen Gaukler und anderes fahrendes Gesindel ihre Kunststücke vor. Auf dem Platze zwischen dem Senat und dem großen Tempel hingegen trifft sich allerlei gelehrtes Volk: Dichter, Priester, Philosophen, Hellseher und Propheten debattieren gewichtige Dinge. Im großen Steinhaus des Senats sitzen die Senatoren und lenken die Geschicke der Stadt, in der Laube davor wird Gericht gehalten und im großen Tempel, dessen Turmzwillinge hoch über das Tal ragen, sitzt der Pontifex Maximus, der höchste aller Priester, und tut den Willen der Götter kund.

Geht man in Richtung der Mittagssonne aus der Stadt, kommt man alsbald auf eine große Brücke, auf der die Armathanstraße den Ander überquert und nach Alisien entschwindet. Unterhalb der Brücke herrscht buntes Leben, denn die Kähne der Anderschiffer legen dort an, werden be- oder entladen und die Waren aus Minskja, Anderporth oder manchmal sogar Gerandack auf Karren in die Lagerhäuser und Kontore in der Stadt gebracht. Auch die Fischer haben dort ihre Boote und bringen täglich frische Forellen oder Aale, damit in den Küchen der Reichen und Adligen daraus gute Speise gemacht werde.
Von hier unten sieht man auch die ganze wehrhafte Pracht der Stadt, ein Kranz aus Mauern, Wällen und Gräben umgibt das Gewimmel der Häuser und unzählige Türme und Zinnen wachsen daraus hervor wie die Zacken einer Krone..."